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DIS-A. (ppearance)

DIS-A. (ppearance)

For ensemble and video (2021), 11 min.
Score DIS-A. (ppearance) 

MP3 Music

Video: Conny Zenck
UA: Ensemble Mosaik | 20h, 30.10.| Villa Elisabeth


DIS-A. (ppearance)

Seit Jahrhunderten lassen Machthaber und Regime jeglicher Couleur unliebsame Kritiker verschwinden, seien es Künstler oder Journalisten. In Krisenzeiten geschieht das häufiger als sonst. □□□ ist einer jener verschwundenen Journalisten. 1995 geboren, machte er eine Ausbildung zum Journalisten und begann später für das staatliche Fernsehen zu arbeiten; bis zum Ausbruch der □□□□□ Krise. Er kündigte und ging nach □□□□□ um von dort direkt und unabhängig zu berichten. Seine Kritik ging dem Regime zu weit. Deren Werkzeug ist das „Verschwinden-lassen“. Zuerst werden Berichte blockiert, dann Kommentare und Beiträge gelöscht. Schließlich wurde er verhaftet. Doch damit endet das Verschwinden nicht. Nach kürzester Zeit finden sich kaum noch recherchierbare Spuren oft jahrlangen Arbeit mehr im Netz. Will man mehr wissen, wird der Schritt zurück ins Analoge notwendig, bleibt jedoch meist auch unergiebig. Wenngleich damit ebenso unsichtbar geworden, steht hinter jedem Verschwinden ein Widerstand, Energie, Wut und Verzweiflung.

“Dis-A” oder „Als □□□ verschwand“ für Ensemble, Live Elektronik und Video legt dies in einen musikalischen und visuellen dramatischen Prozess um. Zu Beginn des Stückes ist alles vorhanden: Eine Vielzahl an Emotionen und Informationen, verdichtet in ein polyphones und mehrdeutiges Geflecht, darunter auch Angst. Sie nimmt langsam die Überhand; jede Minute könnte die Polizei klopfen. Dann wird plötzlich der Schwerpunkt entnommen – das Material stark reduziert. Das Hauptmotiv wurde entfernt, doch seine vielen Seitenthemen und Begleitstimmen bleiben. Bis auch diese nach und nach reduziert werden. Gleich einer sich immer wiederholenden Palimpsest-Matrix bei der einzelne Schichten jedoch nicht freigelegt und besser verständlich, sondern mit schwarzen Balken geschwärzt werden. Das Verschwinden ist alles andere als ein ruhig verlaufender, stiller Prozess. Der Verschwindende wehrt sich. Die Musik findet sich im konstanten Kampf mit diesem Schwärzungsprozess, sie schlägt um sich, mehrstimmig im Ensemble, oder im Soloinstrument. Gegen Ende hin wird die Musik immer mehr eingeengt, immer mehr wird ihr weggenommen, ihre Gesten dafür umso heftiger.
Strukturell und auch inhaltlich orientiert sich das Stück an einer dramatischen und bedrückenden Szene, die sich im Frühjahr □□□□ in □□□□□ zugetragen hat. □□□ hat die letzten Stunden vor seiner Verhaftung gefilmt und live ins Netz gestreamt. Dort schildert er seine Ängste ungeschnitten und verzweifelt. Seine Ausweglosigkeit wird durch die auf die Tür gerichtete Kamera noch verstärkt. In “Dis-A” wird die Aufzeichnung des vierstündigen Streams zu einem 15-minütigen Video und Tonband komprimiert und elektronisch bearbeitet. Umgebungsgeräusche sowie das energische Klopfen der Polizei an die Tür bleiben bestehen und werden elektronisch in die Musik überführt. Das Ensemble umformt die Handlung der Aufzeichnung gegenläufig. Musikalisch geschieht in den ersten Takten bereits, was im Video in den letzten Minuten zu sehen und hören ist. Am Schluss bleibt das „weiße“ Rauschen des Tonbands nach der Verhaftung übrig. Es steht für die immer noch im Raum verbliebene Angst. Die Schwärzungen, das Symbol für systematische Gewalt, haben alles zugedeckt. Das „Verschwinden“ ist abgeschlossen.

Date

30 October 2021

Tags

5 or more instruments