Focus – Exchange
for clarinet and electronics (2015), 14 min.
First performance: Nina Janßen-Deinzer
19.4.2015, “Forum neuer Musik im Deutschlandfunk”
SCORE
„Focus-Exchange“ für Klarinette und Elektronik, uraufgeführt von Nina Janßen-Deinzer am 19. April 2015 beim Forum neuer Musik im Deutschlandfunk, ist inspiriert von philosophischen Gedanken über Traum und Realität des daoistischen Meisters Zhuang (365 v. Chr. bis 290 v. Chr.). Um den Zwiespalt zwischen Traum und Realität sinnbildlich zum Ausdruck zu bringen, eröffnet das Werk auch musiktheatralische Dimensionen. Die Klarinettistin erscheint als ein irreales Wesen (als ein Geist oder eine „Fee“), das sich als Illusion im Raum bewegt. Elektronische und akustische Klänge sind mit den „Bühnenaktionen“ in einem umfassenden Raumkonzept eng verknüpft. Als verfremdete sprachliche Grundlage dient ein Ausschnitt aus Zhuangs Text „Zhuang Zhou träumt einen Schmetterling“. Darin, so Ying Wang, „hinterfragt er die Priorität und den Wahrheitsgehalt der Wahrnehmung von Realität: „Träume sind nicht weniger wahr als das im Wachzustand Erlebte, die Realität des Lebens ist – vielleicht – nur ein Traum…“
Dass Ying Wang das Spannungsverhältnis zwischen Traum und Realität zum Sujet dieses Stücks erhob, hängt mit ihrer eigenen menschlichen und künstlerischen Entwicklung zusammen. Wie stark sich Wirklichkeit und Wahrnehmung der Wirklichkeit verändern können, erfuhr sie durch ihre Übersiedlung nach Deutschland – in 2003 – und deren Folgen eindringlich. Ob sie ihr Leben hier samt steigender internationaler Anerkennung als „Traum“ begreift oder ihre Vergangenheit in China in Anbetracht ihrer neuen Realität mehr und mehr ins Traumhafte entrückt, verweist auf eine Doppelbödigkeit, die sich in Ying Wangs vielschichtigem Schaffen produktiv niederschlägt.
Egbert Hiller